Entwicklung eines Tools zur Empfehlung von Strategien zur Schwingungsberuhigung – #4

Hallo liebe OpenAdaptroniker

das letzte Mal habe ich damit angefangen, die Ansätze zur Schwingungsberuhigung aus dem Lösungsraum zu erläutern. Damit soll es dieses Mal weitergehen:

Dämpfung erhöhen

Wie auch die Systemverstimmung hat dieser Ansatz hat das Ziel durch eine Veränderung des bestehenden Strukturverhaltens Resonanz zu vermeiden. In diesem Fall wird aber nicht die Eigenfrequenz verschoben, sondern die Verstärkung im Bereich der Eigenfrequenz abgeschwächt. Wie der Name schon sagt, wird dazu die Dämpfung der Struktur erhöht.

Ein Parameter, der gut für die Beschreibung der Dämpfung geeignet ist, stellt der Dämpfungsgrad bzw. das Lehrsche Dämpfungsmaß D dar. Es ist definiert als D=d/(2⋅√(k*m)) und damit proportional zur Dämpfungskonstante d.

Zur Veranschaulichung: Ein System, das ein einziges Mal angestoßen wird schwingt für D>1 gar nicht. Für D=0 hört es nicht mehr auf zu schwingen – es ist ungedämpft. Liegt D zwischen 0 und 1 klingt die Schwingung mit der Zeit ab – je großer D ist, desto schneller.

Wird die Struktur dauerhaft angeregt, was bei uns der Fall ist, interessiert uns die Auswirkung von D auf das Übertragungsverhalten. Die folgende Abbildung zeigt das Übertragungsverhalten einer Struktur, bei der k und m konstant gelassen und nur d verändert wurde:

Auswirkungen von Dämpfungsmaß auf Übertragungsverhalten
Auswirkungen von Dämpfungsmaß auf Übertragungsverhalten

Grundsätzlich gilt: Liegt die Frequenz eines Signals unterhalb von √(2)Ω so wird es verstärkt, oberhalb von √(2)Ω wird es abgeschwächt. Es ist zu erkennen, dass im Bereich unterhalb von √(2)Ω die Verstärkung des Übertragungsverhaltens mit zunehmender Dämpfung abnimmt. Der „Trade-off“, den man eingeht, ist allerdings eine geringere Abschwächung im Bereich oberhalb von √(2)Ω.

Es gibt also Licht und Schatten: Wenn wir in einem realen System, das mit beliebigen Frequenzanteilen angeregt wird, die Dämpfung erhöhen, kommt es zu weniger Resonanz. Im Gegenzug werden dafür aber die Frequenzanteile außerhalb der Resonanz verstärkt (bzw. weniger abgeschwächt). Je nach Anregungsfall kann eine Erhöhung der Dämpfung also unter’m Strich sogar negative Auswirkungen auf unser Schwingungsverhalten haben.

Als Fausregel kann man formulieren: Die Dämpfung zu erhöhen ist dann sinnvoll, wenn starke Resonanz vorliegt und die Erregung im Frequenzbereich oberhalb von √(2)Ω gering ist.

So viel zu den Grundlagen des Ansatzes die Dämpfung zu erhöhen. Die weiterführenden Möglichkeiten diesen Ansatz zu verfolgen, gestalten sich ähnlich, wie schon bei der Verstimmung des Systems (siehe Post #3):

Die Verwendung von einstellbaren Dämpfungselementen ermöglicht eine gute Systemabstimmung, ohne dass eine Simulation nötig ist.

Eine semi-aktive Erhöhung der Dämpfung bedeutet, dass Aktoren das Einstellen der Dämpfung übernehmen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn sich die Anregung des Systems im Betrieb ändert (z.B. durch sich verändernde Motordrehzahlen).

Die aktive Erhöhung der Dämpfung beruht – wie auch die aktive Verstimmung – auf der dynamischen Einbringung von Kräften in das System. Es handelt sich also um virtuelle Dämpfung. Da Dämpfungskräfte geschwindigkeitsproportional sind, müssen auch die eingebrachten Kräfte geschwindigkeitsproportional sein. Dabei kann mit quasi der gleichen Hardware durch angepasste Regelstrategien zusätzlich auch eine aktive Systemverstimmung mit virtueller Masse und Steifigkeit realisiert werden. Diese Art aktiver Lösungen ist zwar nicht ganz einfach umzusetzten, stellt aber auch eine mächtige Strategie zur Schwingungsberuhigung dar. Unser Autor Manuel hat bei der Entwicklung eines Demonstrators eine aktive Dämpfung umgesetzt. Hier geht’s zum ersten Post des Projekts.

Tilgung/Neutralisation

Die Grundidee der Tilgung ist es, einen Schwinger (Tilger) an die vorhandene Struktur anzubringen, der mit seiner „Antiresonanz“ die Eigenfrequenz der Struktur tilgt. Der theoretische Aufbau sieht dann so aus:

Tilger auf Struktur
Tilger auf Struktur

Die Eigenfrequenz des Schwingers Ω_T, das Dämpfungsmaß D_T, usw. berechnen sich analog zu den entsprechenden Parametern der Struktur.

Im Übertragungsverhalten des Gesamtsystems erzeugt ein auf diese Weise angebrachter zusätzlicher Schwinger eine sogenannte Nullstelle. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass es zunächst einen positiven Peak und direkt danach einen negativen Peak (Antiresonanz) in der Übertragungsfunktion gibt. Dies lässt sich gut in den oberen beiden Diagrammen der folgenden Abbildung erkennen.

Auswirkungen von m_T/m und D_T auf das Übertragungsverhalten
Auswirkungen von m_T/m und D_T auf das Übertragungsverhalten

Die Schwinger in den oberen beiden Diagrammen sind nicht auf die Eigenfrequenz Ω der Struktur abgestimmt, sondern besitzen eine Eigenfrequenz Ω_T, die nur halb so groß ist wie Ω. Ein Tilger ist definiert als ein auf die Struktur abgestimmter Schwinger – das heißt, dass Ω_T = Ω ist. Die Auswirkungen eines so abgestimmten Tilgers auf das Übertragungsverhalten sind in den unteren Diagrammen zu erkennen. In diesem Fall schwingt bei einer dominanten Erregung mit 100 Hz (=Ω=Ω_T) der Tilger genau gegenphasig zur Erregung. Dadurch löschen sich die Kräfte, die auf die Strukturmasse wirken, weitestgehend aus und das Instrument wird kaum beeinflusst. Liegt die Erregungsfrequenz allerdings etwas über oder unter 100 Hz kommt es wieder zur Resonanz. Ein Tilger eignet sich also dann besonders gut, wenn eine ganz bestimmte Resonanz verhindert werden soll. Wie schon erwähnt ist ein Tilger auf die Eigenfrequenz der Struktur abgestimmt. Es ist auch möglich den Schwinger auf eine dominante Erregerfrequenz abzustimmen, die nicht umbedingt auf eine Eigenfrequenz fällt. In diesem Fall hat man dann statt einem Tilger einen Neutralisator.

Die beiden wichtigsten Parameter des Tilgers sind das Verhältnis der Tilgermasse zur Strukturmasse m_T/m sowie das Lehrsche Dämpfungsmaß des Tilgers D_T. Als Ergänzung des Themas sind der Einfluss von m_T/m und D_T an dieser Stelle mit aufgeführt.
In den linken beiden Diagrammen wurde m_T/m variiert und D_T sowie Ω_T konstant gehalten. Man erkennt, dass die beiden positiven Peaks mit großerem Masseverhältnis auseinander wandern und der negative Peak stärker ausgeprägt ist. Ein hohes Masseverhältnis ist also von Vorteil, kann allerdings aus Konstruktions- und Gewichtsgründen nicht immer umgesetzt werden.
Der isolierte Einfluss von D_T ist in den rechten beiden Diagrammen zu erkennen. Mit größerem D_T werden sowohl die Tilgung als auch die benachbarten Peaks kleiner. Der Tilger wird also weniger wirkungsvoll aber auch robuster gegenüber Anregungen mit Frequenzen knapp unter oder über Ω_T.

Semi-aktive Tilger/Neutralisatoren verfügen über eine aktorisch einstellbare Steifigkeit (einstellbare Masse unüblich). Auf diese Weise kann Ω_T auf sich im Betrieb ändernde Erregungsfrequenzen eingestellt werden, was häufig große Vorteile bietet.

Aktive Tilger/Neutralisatoren sind mit einem Aktor ausgestattet, der zwischen m und m_T Kräfte stellen kann. Diese Bauweise entspricht der eines sogenannten Inertialmassenaktors, den ich im nächsten Post vorstellen möchte. Bis dann.

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